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Published on: Juni 2025
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Erfolgreiche Team Retrospektive
@Margarida Afonso

Retrospektiven, die nicht nerven – sondern Wirkung zeigen

Es ist 15:30, Sprint Review ist vorbei, und du rufst das Team zur Retrospektive zusammen. Tom schaut demonstrativ auf sein Handy, Lisa murmelt "schon wieder", und Marc fragt, ob das wirklich nötig ist. Nach 45 Minuten habt ihr acht Post-Its an der Wand: "Kommunikation verbessern", "Meetings effizienter machen", "technische Schulden reduzieren".

Nächste Retrospektive, zwei Wochen später: Exakt die gleichen Post-Its.

Das Problem sind nicht Retrospektiven. Das Problem ist, dass 90% aller Teams sie wie Alibi-Veranstaltungen behandeln - und sich dann wundern, warum nichts passiert.

Warum die meisten Retrospektiven Bullshit sind

Die Standard-Retrospektive ist ein Ritual ohne Inhalt: Alle setzen sich zusammen, sammeln spontan Probleme auf Post-Its, diskutieren 30 Minuten lang über alles mögliche, und am Ende fühlt sich jeder gut, weil "wir haben ja darüber geredet". Nur passiert danach nichts.

Der Denkfehler: Du behandelst Retrospektiven wie Brainstorming-Sessions. Aber Retrospektiven sind Entscheidungs- und Umsetzungsformate. Wenn am Ende keine konkreten Änderungen mit Verantwortlichen und Terminen stehen, war es verschwendete Zeit.

Als Team Lead stehst du vor einem zusätzlichen Problem: Dein Team wird zunehmend zynisch ("Bringt ja eh nichts"), und du fragst dich, ob Retrospektiven überhaupt Sinn machen. Die Antwort: Ja, aber nur wenn du drei fundamentale Regeln befolgst.

Wann Retrospektiven wirklich funktionieren

1. Vorbereitung schlägt Spontaneität

Das spontane "Was war denn nochmal problematisch?" ist der erste Fehler. Wenn alle zusammensitzen und überlegen, kommen nur die oberflächlichen Sachen raus, die gerade im Kopf sind. Die wirklich nervenden Probleme - die kleinen täglichen Reibungen - sind vergessen oder werden von den lauteren Stimmen übertönt.

Mach es richtig: Jeder notiert während des Sprints Probleme, die nicht sofort lösbar sind. In einem privaten Dokument, ohne Einfluss von anderen. Diese Liste bringt jeder zur Retrospektive mit.

Warum das funktioniert: Du bekommst ehrliche, unzensierte Probleme statt diplomatisch aufbereitete Versionen.

2. Konkrete Probleme statt Gefühlsduselei

Funktioniert: "Code Reviews dauern zu lange, weil keiner Zeit hat sie zu machen" Funktioniert nicht: "Die Kommunikation im Team könnte besser sein"

Das erste Problem kannst du lösen: Feste Code-Review-Slots, Pair Programming, kleinere Pull Requests. Das zweite ist zu vage für konkrete Maßnahmen.

Entscheidungskriterium: Wenn du nach 5 Minuten Diskussion nicht weißt, was genau geändert werden soll, ist das Problem zu unspezifisch. Dann ist die Hausaufgabe: Bis zur nächsten Retro konkret notieren, was genau stört. "Schlechte Kommunikation" wird zu "Tom antwortet nie auf Slack-Nachrichten" oder "Meetings haben keine Agenda".

3. Keine Diskussion über Berechtigung

Sobald jemand sagt "Das ist aber kein echtes Problem" oder "Das haben wir doch schon mal besprochen", ist die psychologische Sicherheit weg. Dann trauen sich nur noch die Selbstbewussten, Probleme zu nennen.

Die Regel: Jedes genannte Problem ist erstmal valide. Diskutiert wird nur über Lösungen, nicht über Berechtigung.

Aber Achtung: Wenn alle immer nur nicken und "läuft alles" sagen, ist das kein Zeichen für ein perfektes Team. Das ist ein Warnsignal für toxische Kultur oder mangelnden Respekt.

4. Balance zwischen Problemen und Erfolgen

Warum das wichtig ist: Reine Problem-Fokussierung kann die Moral killen und vermittelt das Gefühl "alles läuft schlecht". Teams brauchen auch Bestätigung, dass sich Dinge verbessern.

Mach es richtig: Für jedes Problem, das ihr besprecht, nennt auch eine Sache, die besser geworden ist oder gut funktioniert. Das zeigt, dass Veränderung möglich ist und stärkt das Vertrauen in die eigene Verbesserungsfähigkeit.

Der Effekt: Teams sehen, dass ihre Anstrengungen Früchte tragen, und sind motivierter für weitere Änderungen.

Die häufigsten Retrospektiven-Fallen vermeiden

"Heute lösen wir mal alles"

Warum es scheitert: Teams sammeln spontan 8-10 Probleme in einer Retro und wollen alle gleichzeitig angehen. Das Ergebnis: Nichts wird richtig umgesetzt.

Die Alternative: Fokus auf das eine Problem, das gerade am meisten nervt. Löst es, bevor ihr das nächste angeht. Menschen können maximal 2-3 Verhaltensänderungen gleichzeitig umsetzen.

"Jeder soll sich erstmal richtig auskotzen"

Warum es scheitert: Retrospektiven werden zu reinen Frust-Sessions ohne Lösungswille. Jeder darf 10 Minuten jammern, aber niemand will etwas ändern.

Die Alternative: Jeder darf seine Probleme nennen - aber nur mit der Bereitschaft, Lösungen zu finden. Frage bei jedem Problem: "Was können wir konkret ändern?"

"Wir haben keine Entscheidungsbefugnis"

Warum es scheitert: Teams diskutieren über Gehälter, Management-Entscheidungen oder Budget-Probleme, die sie nicht selbst lösen können.

Die Alternative: Kann das Team die Lösung ohne externe Genehmigungen umsetzen? Wenn nein, können sie sich immerhin auf eine gemeinsame Position einigen und diese geschlossen nach oben tragen. Aber die eigentliche Lösung passiert außerhalb des Teams.

Die 3-Fragen-Retrospektive: Einfach und effektiv

Vergiss komplizierte Retrospektiven-Methoden. Diese drei Fragen reichen für eine wirksame Retrospektive:

  1. Was ist das nervigste Problem im aktuellen Sprint? (Nur eins!)
  2. Welche konkrete Änderung würde es lösen?
  3. Wer macht was bis wann?

15 Minuten, ein Problem, eine Lösung, klare Verantwortung. Mehr brauchst du nicht.

Wann du auf Retrospektiven verzichten solltest

Das Team ist in einer akuten Krise

Problem: Wichtiger Deadline nächste Woche, alle im Stress-Modus

Warum es scheitert: Während einer Krise haben Menschen keine mentale Kapazität für Prozess-Verbesserungen.

Aber: Nach der Krise sollte "Warum sind wir in diesen Stress geraten?" die erste Retro-Frage sein. Dauernder Krisenmodus ist selbst das größte Problem, das gelöst werden muss.

Du hast keine Zeit für Follow-up

Problem: Als Team Lead bist du zu busy für Umsetzungs-Kontrolle

Warum es scheitert: Ohne Follow-up lernt das Team, dass Retrospektiven-Beschlüsse optional sind.

Das Team funktioniert bereits gut

Hier die unbequeme Wahrheit: Bei gesunden Teams werden Probleme sofort angesprochen und Verbesserungen passieren kontinuierlich. Da ist eine wöchentliche Retro wie ein Zahnarzttermin alle zwei Tage - unnötig und nervig.

Notfall-Maßnahme: Die externe Retrospektive

Wenn du vermutest, dass die Arbeitskultur toxisch ist, aber niemand redet darüber - dann kann eine Retrospektive außerhalb des Büros helfen, die ersten ehrlichen Gespräche zu starten. Café, Park, anderes Meeting-Room.

Aber: Das ist eine einmalige Intervention, keine dauerhafte Lösung. Wenn dein Team nur außerhalb des Büros offen redet, hast du ein Leadership-Problem, kein Retrospektiven-Problem.

Das ultimative Ziel: Keine Retrospektiven mehr zu brauchen

Der Erfolg einer Retrospektive misst sich nicht daran, wie gut sie läuft - sondern daran, wann dein Team keine mehr braucht.

Retrospektiven sind ein Reparatur-Tool für Teams, kein Wartungsritual. Das Ziel ist, dass Teams ihre Probleme direkt lösen, Verbesserungen kontinuierlich umsetzen, und ehrlich miteinander kommunizieren.

Die ehrliche Frage: Könnt ihr spontan drei Verbesserungen aus den letzten drei Retrospektiven nennen, die ihr tatsächlich umgesetzt habt? Wenn nein, macht ihr etwas grundlegend falsch bei euren Retrospektiven.

Es ist besser, ein konkretes Problem ohne Retrospektive zu lösen, als jede Woche fruchtlose Retro-Meetings abzuhalten.

Wirksame Retrospektiven sind selten, aber kraftvoll. Schlechte Retrospektiven sind häufig und zermürbend. Wähle weise.